Fahrbericht BMW M3 G80 mit 510 PS: Zelebrierte Unvernunft

BMW M3, BMW M4, Fahrberichte | 10.03.2021 von 0

Die meisten Autos unserer Zeit werden von ihren Entwicklern in einen Spagat gezwungen, der auf Dauer zur Zerreißprobe wird: Um einer möglichst breiten Zielgruppe gefallen …

Die meisten Autos unserer Zeit werden von ihren Entwicklern in einen Spagat gezwungen, der auf Dauer zur Zerreißprobe wird: Um einer möglichst breiten Zielgruppe gefallen zu können, sollen sie verschiedene Charaktere besitzen – und können nur selten in beiden Polen des angestrebten Spektrums überzeugen. Doch was für einen Allrounder ein sinnvoller Weg sein mag, kommt für einen Extremisten wie den neuen BMW M3 G80 einfach nicht in Frage: Wer einen M3 kauft, sucht keine komfortable Reiselimousine. Und bekommt sie auch nicht. Stattdessen darf die Ikone auch in ihrer sechsten Generation ganz sie selbst sein und versucht gar nicht erst, es allen recht zu machen.

Für unseren ersten Fahrbericht mit dem neue BMW M3 Competition G80 durften wir ans Steuer eines Exemplars in Frozen Portimao Blue, aber im Fall der neuen Generation braucht es ganz sicher keine Individual-Lackierung um aufzufallen: Egal wie man vor dem neuen M3 steht, der Eindruck eines brachialen Kraftprotzes drängt sich aus jedem Blickwinkel auf. Aber zur Optik wurde längst genug gesagt, also auf ans Steuer! Schon beim Öffnen der Tür unterstreicht der erste Blick in den Innenraum den sportlichen Anspruch: Die optionalen M Carbon Schalensitze mit Durchbrüchen und hohen Seitenwangen versprechen enormen Seitenhalt, aber keinen bequemen Einstieg – sie erinnern den Fahrer schon vor jeder Fahrt daran, dass er gerade in einen M3 einsteigt, der es mit der Abgrenzung vom 3er noch ernster meint als jeder seiner Vorgänger.

Dass sich die Emanzipation von der braven 3er-Basis nicht auf Design und Sitze beschränkt, spürt man schon kurze Zeit später auf der Landstraße: Schon nach den ersten zaghaften Setup-Klicks in Richtung Sport lässt der M3 fast jede Zurückhaltung fallen und deutet erstmals an, was seine Entwickler unter einem intensiven Fahrerlebnis verstehen. In den Fokus drängt sich dabei nicht nur akustisch der Biturbo-Reihensechszylinder S58, der im M3 Competition mit 510 PS und einem maximalen Drehmoment von 650 Newtonmeter antritt. Während ähnliche Eckpunkte in anderen Fahrzeugklassen heute regelmäßig sehr zivilisiert serviert werden, zelebriert der Antrieb des BMW M3 Competition den zivilen Ungehorsam.

Dass er die volle Power einzig an die Hinterräder schickt und diese von so viel Energie mitunter überfordert sind, ist hier ein ausgesprochen offenes Geheimnis: Egal in welchem Geschwindigkeitsbereich man gerade unterwegs ist, ein kleiner Ausfallschritt oder zumindest ein freudig zuckendes Heck sind eigentlich immer drin. Auch auf der Tonspur ist der längs montierte R6 alles andere als zurückhaltend, zumindest im Innenraum ist das Kraftpaket bei jedem kurzen Zwischensprint unüberhörbar und begleitet die digitale Nadel, die eher an einen Fortschrittsbalken als an die zeitlose Schönheit analoger Instrumente erinnert, auf ihrer rasanten Fahrt über das Tacho-Display ziemlich überzeugend. Wie viel vom Klang künstlich erzeugt oder zumindest verstärkt wird, bleibt das Geheimnis der Programmierer.

In den Bereich der Ingenieurs-Geheimnisse fällt hingegen, wie der M GmbH ein derart großer Schritt in Sachen Vorderachs-Performance gelungen ist: Obwohl das Gewicht des BMW M3 G80 bekanntlich ein gutes Stück über dem des Vorgängers liegt, lenkt die sechste Generation spürbar williger und agiler ein als der Vorgänger. Egal wie eng der Kurvenradius auch scheint, die Vorderachse folgt stoisch jedem Lenkbefehl und lässt sich auf trockenem Asphalt eigentlich nur mit grobem Fehlverhalten ein sanftes Untersteuern abringen. Auch in schnellen Kurven mit größeren Radien liegt die M3 Limousine extrem stabil und vermittelt enormes Vertrauen.

Die ganze Leistungsfähigkeit der Konstruktion zeigt sich zwar erst bei einer späteren Fahrt auf dem Gelände des Fahrsicherheitszentrums in Maisach, aber auch auf öffentlichen Straßen ringt einem die Performance des M3 großen Respekt ab: Die im Vergleich zur Basis insgesamt 38 Kilogramm zusätzliche Versteifungen sind zweifellos gut investiert, denn sie sind allem Zusatzgewicht zum Trotz das Fundament des Fahrdynamik-Fortschritts. Gerade wenn man sich das hohe Niveau des Vorgängers bewusst macht, wirkt der neue BMW M3 schon jetzt wie eine Machtdemonstration.

Die abgesperrte Strecke in Maisach bietet schließlich den geeigneten Rahmen dafür, den M3 Competition an seine Grenzen zu bringen. Und während das lebendige Heck bei der Vollgas-Beschleunigung auf öffentlichen Straßen hin und wieder den Eindruck vermittelt, dass die Power-Limousine vor lauter Kraft nur ungern ohne einen minimalen Driftwinkel durchbeschleunigt, passt das agile Setup im Rennstrecken-Kontext wie die Faust aufs Auge: Wer sich mit leistungsstarken Hecktrieblern wohlfühlt, kann den M3 mit deaktiviertem DSC an jedem Kurvenausgang im schmalen Fenster zwischen leicht schlupfenden Hinterrädern und sanftem Drift halten und dabei förmlich spüren, wie sich die 510 PS in den Asphalt massieren.

Ziemlich überzeugende Unterstützung leistet dabei die neue M Traction Control, die in nicht weniger als 10 Stufen die zum individuellen Fahrstil passende Unterstützung der elektronischen Fahrhilfen erlaubt. Je nach Vorlieben in Sachen Lebendigkeit des Hecks, maximalen Driftwinkeln und DSC-Eingriffsschwellen kann so jeder für sich abschmecken, wie scharf er den BMW M3 Competition gerne genießen möchte. Wie bisher lassen sich die beiden favorisierten M-Setups auf den roten M1- und M2-Knöpfen am Lenkrad abspeichern und so jederzeit aktivieren, wenn sich die Anforderungen von einer Sekunde auf die andere ändern sollten.

Nach mehreren Stunden am Steuer des BMW M3 G80 hat sich der erste Eindruck manifestiert: Nummer 6 ist ein echter Charakter-Darsteller, wie sie in der von Perfektion getriebenen Autowelt des Jahres 2021 extrem selten geworden sind. Wer einfach nur eine üppig motorisierte Reiselimousine oder einen unauffälligen Alltagssportler fahren will, sollte vielleicht noch einmal darüber nachdenken, ob der M3 wirklich das richtige Auto für ihn ist. Gleiches gilt für alle, die sich heimlich vor einem mitarbeitenden Heck fürchten oder während der Fahrt lieber anderen Beschäftigungen nachgehen als aktiv und bewusst Auto zu fahren. Wer allerdings bekennender Sportwagen-Fan ist, in den meisten aktuellen Autos die nötige Würze vermisst und intensive Arbeit am Steuer als Verheißung und nicht als Drohung wahrnimmt, der findet im neuen M3 wohlmöglich einen Seelenverwandten.

Ob die bewusst pointierte Abstimmung eine gute Idee für Vergleichstests ist, die meist nach ausgewogenen Gesamtpaketen suchen, kann nur die Zukunft zeigen. Eines ist aber schon nach der ersten Fahrt klar: Auf emotionaler Ebene bietet der neue BMW M3 Competition ein Erlebnis, das sich nicht hinter waschechten Sportwagen verstecken muss. Und auch wenn das Design der Power-Limousine auf den einen oder anderen Betrachter provozierend wirkt und kontrovers diskutiert wird, passt es mit seinem konsequenten Bruch aller Konventionen perfekt zum Charakter des M3: Wer aus purer Überzeugung und mit stolzgeschwellter Brust seinen eigenen Weg geht, der darf es auch zeigen.

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