Mal was anderes: Freude am Fahren im Kia Stinger GT?

Fahrberichte, Sonstiges | 19.08.2019 von 0

Fahrbericht: Der Kia Stinger GT bringt viele Zutaten mit, die eine Menge Fahrspaß versprechen. Wir sind den selbstbewussten Koreaner mit V6-Biturbo gefahren.

Sechs Zylinder, 3,3 Liter Hubraum, zwei Turbolader, 366 PS, Achtgang-Automatik, variabler Allradantrieb mit heckbetonter Kraftverteilung und eine Abstimmung nach den Vorgaben des früheren BMW M-Chefs Albert Biermann: Vieles am Kia Stinger GT klingt nach Freude am Fahren und auch die von Peter Schreyer gestalteten Formen haben wenig mit dem zu tun, was viele Deutsche bis vor wenigen Jahren mit koreanischen Autos verbunden haben.

Schon die bis hierhin genannten Eckpunkte machen klar: Der Kia Stinger soll ein Stachel im Selbstverständnis der deutschen Premium-Autobauer sein. Er steht sinnbildlich dafür, dass mit den Koreanern künftig auch in höheren Fahrzeugklassen und in Segmenten mit sportlicherem Anspruch gerechnet werden muss. Eine Klasse tiefer schlägt der Hyundai i30 N in die gleiche Kerbe. Grund genug, sich den Kia Stinger GT mit seinem kräftigen Biturbo-V6 einmal genauer anzusehen und ausführlich vorzustellen.

Fahrbericht Kia Stinger GT: Freude am Fahren aus Korea?

Auch im Innenraum sind die ambitionierten Ziele des Kia Stinger GT unübersehbar: Sportsitze mit Nappaleder sind ebenso serienmäßig wie das Navigationssystem mit Head-up-Display, das beheizbare Lederlenkrad mit Schaltwippen und das Harman/Kardon Soundsystem mit 15 Lautsprechern. Abseits der hochwertig gestalteten Aluminium-Schalter und Leder-Elemente hat das Interieur aber auch einige Kunststoff-Oberflächen zu bieten, die nicht so ganz zum Premium-Anspruch passen wollen.

An anderen Stellen fragt man sich hingegen, warum es vergleichbare Features nicht auch in einem BMW 3er G20 gibt: Neben der heute längst selbstverständlichen Sitzheizung – im Stinger GT serienmäßig auch auf den äußeren Fond-Sitzen – bietet der Kia auch eine Sitzlüftung, die den Rücken gerade im Hochsommer angenehm kühlt. Wer diesen Komfort in einem BMW genießen will, wird weder in 1er noch 3er oder 4er fündig und muss zwangsläufig zu einer höheren Fahrzeugklasse greifen.

Die eigentliche Frage ist aber zweifellos, wie sich der Kia Stinger GT fährt. Und hier kann der Koreaner mit Gelassenheit punkten, die man angesichts des leistungsstarken Triebwerks und des sportlichen Äußeren nicht unbedingt erwartet hätte. Das adaptive Fahrwerk ist unabhängig vom gewählten Modus weit von übertriebener Härte entfernt und bietet trotz 19-Zöllern einen ordentlichen Restkomfort. Die Kehrseite dieser Abstimmung erlebt man auf langgezogenen Autobahnkurven, wenn man sich nicht erst im Bereich der Höchstgeschwindigkeit von 270 km/h ein strafferes Setup wünscht.

Doch weil die Realität nicht nur aus topfebenen Autobahnen in Top-Zustand besteht, hat der Restkomfort des Stinger-Setups auch seine Vorzüge. Gerade auf schlechteren Landstraßen liegt der Kia auch bei zügiger Fahrweise erstaunlich ruhig, ohne jemals langweilig zu wirken. Im Sport Plus-Modus wird die Kraftverteilung des Allradantriebs so hecklastig, dass man den Viertürer praktisch wie einen Hecktriebler fahren und durchaus zu kleineren Drift-Einlagen überreden kann.

Aus Sicht sportlicher Fahrer wäre etwas mehr Rückmeldung in der relativ leichtgängigen Lenkung wünschenswert, auch eine Sport-Gasse für das Getriebe wäre sicher kein Fehler. Denn die im gemütlich gefahrenen Alltag mit unauffälligen Gangwechseln überzeugende Automatik zwingt den Fahrer selbst im Sport Plus-Modus und bei dynamischster Fahrweise zur Nutzung der Schaltwippen, weil sie anderenfalls jeden Moment zum Hochschalten nutzt, daher bei der nächsten Gelegenheit vom akuten Beschleunigungswunsch überrascht wird und zunächst ihre Gänge sortieren muss.

Fährt man hingegen im Komfortmodus, passt die Charakteristik der Automatik sehr gut zum erwarteten Fahrverhalten. Der Sechszylinder bleibt stets im unteren bis mittleren Drehzahlbereich und hält sich auch akustisch im Hintergrund. Warum er im Sportmodus völlig anders klingt, offenbart sich in den Untermenüs des Infotainment-Systems: Kia macht kein Geheimnis daraus, dass dem Klang mit Hilfe des Soundsystems künstlich unter die Arme gegriffen wird und bietet sogar verschiedene Verstärkungsstufen an:

Was vor ein paar Jahren noch ein Sakrileg gewesen wäre, ist in Zeiten des Ottopartikelfilters längst Standard. Das Angebot verschiedener Sound-Modi ist daher gewiss keine Schande, auch wenn Puristen verächtlich die Nase rümpfen. Da es zumindest in Europa keine Neuwagen ohne den gedämpften Klang einer Abgasanlage mit Ottopartikelfilter mehr geben darf, sind echte Alternativen zum künstlichen Sound aus den Lautsprechern ohnehin nicht vorhanden. Klar ist aber auch, dass der künstlich verstärkte Sound nicht mit den echten Klängen älterer Fahrzeuge mithalten kann.

Im Vergleich mit dem Navigationssystem Professional zählt das Kia Infotainment-System insgesamt nicht zu den Stärken des Stinger. Eine Spracheingabe suchen BMW-Fahrer im Koreaner ebenso vergeblich wie eine während der Fahrt sicher zu bedienende Eingabemöglichkeit im Stil eines iDrive-Controllers. Der Touchscreen ist zwar hochauflösend und gut ablesbar, lässt sich aber wie alle Touchscreens nicht ablenkungsfrei bedienen und verlangt in einigen Situationen zu viel Aufmerksamkeit.

Nicht ganz auf dem letzten Stand der Technik zeigen sich auch die Assistenzsysteme. Wer im Stinger mit Tempomat bergab fährt, wird immer wieder ein oder zwei km/h zu schnell, bevor das Auto leicht, aber spürbar verzögert und wieder auf die gewünschte Geschwindigkeit kommt. Die Spurverlassenswarnung arbeitet mit akustischen Signalen, die intuitiv weit weniger verständlich als ein vibrierendes Lenkrad sind und außerdem auch die Mitfahrer unnötig beunruhigen.

Wer mit solchen kleineren Schwächen leben kann, erhält mit dem Kia Stinger GT ein durchaus überzeugendes Gesamtpaket – vor allem, wenn man auch den Preis berücksichtigt. Während der Grundpreis von 55.900 Euro nicht wesentlich unter einem BMW 440i Gran Coupé liegt, wird der Unterschied durch die umfangreiche Serienausstattung eklatant. Egal ob Nappaleder, Head-up-Display, 19-Zöller oder die vielen Kameras für eine virtuelle Rundumsicht: Mit Ausnahme von Sport-Abgasanlage und Glasdach gibt es keine aufpreispflichtigen Optionen mehr! Mit anderen Worten: Unzählige Features, für die bei BMW noch üppige Aufpreise fällig werden, sind bereits an Bord.

Aber der Preis ist bei weitem nicht der einzige Aspekt, der den Stinger attraktiv macht. Auch das viele neugierige Blicke anziehende Design, die bereits ab 1.300 U/min anliegenden 510 Newtonmeter Drehmoment, die dank Allradantrieb uneingeschränkte Ganzjahrestauglichkeit, die nicht künstlich limitierte Höchstgeschwindigkeit und Komfort-Features wie die Sitzbelüftung sprechen für den Koreaner, der damit seine Mission erfüllt: Auch ohne in irgendeiner Disziplin Bestwerte aufzustellen, ist er eine ernstzunehmende Alternative zu den deutschen Premium-Angeboten.

 

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