Skiddmark führt ausführliches Interview mit Dr. Mario Theissen

Motorsport | 11.02.2010 von 2

Die US-Webseite Skiddmark hatte die Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit BMW Motorsport Direktor Dr. Mario Theissen zu führen und wir dürfen dank unserer amerikanischen Partnerseite …

Die US-Webseite Skiddmark hatte die Gelegenheit, ein ausführliches Interview mit BMW Motorsport Direktor Dr. Mario Theissen zu führen und wir dürfen dank unserer amerikanischen Partnerseite BMWblog.com dieses Interview in voller Länge wiedergeben. Natürlich haben wir das Interview so gut wie möglich übersetzt und wir sind überzeugt, dass das Gespräch einige interessante Punkte bereithält.

Neben dem Motorsport, unter anderem auch das heikle Thema F1-Ausstieg, geht es auch um die Verbindung von Erkenntnissen aus dem Motorsport mit der Entwicklung von Serienfahrzeugen sowie den Einsatz des Hybrid-Systems KERS in künftigen BMW-Modellen, aber lest am Besten selbst…

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Zunächst geht es um die Gründe für den Ausstieg aus der Formel 1 nach der Saison 2009:
Mario Theissen: “Es gab einen Wechsel in der strategischen Ausrichtung der Firma. Dabei wurde beschlossen, dass das Motorsport Engagement eindeutiger Bezug zu Technologien haben soll, die für die zukünftige Mobilität relevant sind und obwohl wir immer im Motorsport bleiben werden, hat die Formel 1 nicht mehr zu dieser neuen Strategie gepasst. Andererseits hat die Formel 1 die meisten Ressourcen verschlungen und die Entscheidung, sich aus der F1 zurückzuziehen und stattdessen andere Gebiete des Motorsports zu verfolgen, resultierte aus dieser neuen Strategie.”

Welche Gründe hatten denn zuvor für den Einstieg in die Formel 1 gesprochen?
MT: “Einer der Hauptgründe für unser Engagement war, dass wir geglaubt haben, unsere Fähigkeiten in Sachen Elektronik verbessern zu können. Darum haben wir auch entschieden, dieses Gebiet komplett im eigenen Haus zu entwickeln.”

Und wieviel Geld hat die F1 verschlungen?
MT: “Die Formel 1 hat zwischen 85 und 90 Prozent unserer Motorsport-Ausgaben beansprucht, sowohl in Bezug auf das Personal als auch mit Blick auf das Budget. Wir werden nun in der Lage sein, uns besser auf die WTCC und die GT-Rennserien zu konzentrieren.”

Also wurden die anderen Bereich ein wenig vernachlässigt?
MT: “Nicht wirklich. Im Lauf der letzten fünf Jahre wurde das F1-Budget selbst um 50 Prozent gekürzt und wir hatten genügend Geld… genug Gelder für die anderen Programme, obwohl sie vielleicht nicht genug Aufmerksamkeit erhielten. Mit der neuen Situation jetzt konzentrieren wir uns voll auf die anderen Programme und speziell der GT-Motorsport wird für BMW Motorsport eine größere Rolle als in der Vergangenheit spielen.”

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Wie kommt es, dass das freigewordene Budget nun für die GT-Einsätze genutzt wird und nicht für die Tourenwagen – hat das etwas mit dem herrschenden Wettbewerb in den jeweiligen Serien zu tun?
MT: “Wir treten traditionell in der 2-Liter-Rennserie WTCC an und das wird auch weiterhin ein wichtiges Feld für uns sein, denn es geht dabei nicht nur um die WTCC. Die starke Position der WTCC sorgt dafür, dass viele nationale Rennserien auf der Basis des Super2000-Reglements stattfinden: seriennahe Fahrzeuge mit 2-Liter-Motoren und eingeschränkten Entwicklungsmöglichkeiten. Dadurch ist die Entwicklung des WTCC-Autos besonders sinnvoll, denn es kann auch in anderen Serien genutzt werden und es war schon immer Teil unserer Motorsport-Strategie, dass wir Fahrzeuge nicht nur für unsere Werkseinsätze entwickeln, sondern sie auch großen Privatteams zur Verfügung stellen, die die Fahrzeuge kaufen und dann in Rennen einsetzen können. Daher genießt ein solches Programm eine große Verbreitung und es lohnt sich für uns, Geld für die Entwicklung eines solchen Fahrzeugs auszugeben. Selbst wenn wir nicht in der WTCC vertreten wären, würde das Sinn ergeben, denn wir müssen unsere Kunden bedienen und würden daher ein Auto nach S2000-Reglement anbieten.”

Wie kommt es dann zur stärkeren Betonung der GT-Einsätze – ist das Teil eines größeren Marketing-Aktion?
MT: “Bei den Tourenwagen würden wir es sehr gerne sehen, wenn andere Premiumhersteller als Konkurrenten in der WTCC antreten würden, aber das ist nicht das Wichtigste dabei. Der Fokus der Marke in Sachen Sportlichkeit und Dynamik liegt auf dem BMW M3 und darum haben wir uns entschieden, uns auch im Motorsport auf dieses Fahrzeug zu konzentrieren. Im letzten Jahr haben wir den neuen M3 in die American Le Mans Series (ALMS) gebracht und hatten dabei eigentlich das GT2S-Reglement im Blick, dieses wurde aber vor Saisonbeginn abgeschafft und uns bot sich die Möglichkeit, in der GT2-Klasse anzutreten.”

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Findet der Wettbewerb in der GT2-Klasse auf einem anderen Level als in der WTCC statt?
MT: “Das Auto bietet eine gute technische Basis und wir fahren gegen Porsches, Ferraris und natürlich die Corvettes. Wir haben im letzten Jahr tolle Rennen gesehen und haben daher entschieden, das Programm auszubauen und das Auto nach Europa zu bringen.”

Dadurch tritt das Fahrzeug nun auf allen wichtigen M3-Märkten an und es scheint eine enge Verbindung zwischen Motorsport-Programm und Marketing zu geben…
MT: “Ja. Der Plan sieht vor, in den USA weiterhin mit dem Rahal/Letterman-Team anzutreten und zudem in den wichtigen europäischen Langstreckenrennen mit Schnitzer teilzunehmen. Die 24 Stunden am Nürburgring sind beschlossene Sache, das Rennen in Le Mans sehr wahrscheinlich und an unserer Teilnahme am Rennen von Spa arbeiten wir noch.”

All diese europäischen Rennen bedingen den Einsatz bei vorbereitenden Rennen, beispielsweise der VLN Langstreckenmeisterschaft oder der Le Mans Series. Das bedeutet einen ziemlich ausgefüllten Kalender für die Teams. Wann wird das “sehr wahrscheinlich” bezüglich des Einsatzes in Le Mans durch ein definitives Ja ersetzt?
MT: “Wir haben ein gegenseitiges Einverständnis darüber, dass der M3 in Le Mans starten wird, aber wir müssen das Fahrzeug vorher an die GT2-Regeln anpassen. Daran arbeiten wir grade, aber das Fahrzeug wird nicht vor März fertig sein und erst dann können wir uns für die Homologation bewerben. Ich gehe aber davon aus, dass wir den M3 in der Startaufstellung sehen werden.”

Die Einsätze mit dem GT-Rennwagen passen rein geographisch sehr gut zu den wichtigsten Märkten für Fahrzeuge der BMW M Gmbh – USA, Deutschland und Großbritannien…
MT: “Ja, natürlich hat man als Hersteller einer sportlichen Untermarke wie BMW M ein Interesse daran, diese möglichst nahe an den Rennaktivitäten zu platzieren und am Anfang war das Programm ja auch hauptsächlich auf die USA ausgerichtet, wo wir eine starke M3-Kundenbasis haben. Als wir uns für den Einsatz in der ALMS entschieden haben, geschah das auch, weil wir im US-Motorsport nicht besonders gut positioniert waren. Zu dieser Zeit waren wir noch in der Formel 1, die weltweit beachtet wird – außer in den USA. Das Engagement in der ALMS war da eine gute Ergänzung und ist auch weiterhin positiv zu sehen, zusätzlich haben wir die Teilnahme an den Langstreckenrennen in Europa.”

Bleibt der britische Markt da nicht ein wenig unberücksichtigt?
MT: “Es gibt zwar ein 24 Stunden Rennen in Silverstone, aber das ist weniger beliebt und bietet auch nicht den Wettbewerb wie die anderen drei 24 Stunden Rennen in Europa. Die Rennen in Le Mans und am Nürburgring besitzen außerdem eine hohe Attraktivität, auch für die hard-core Motorsport-Fans aus England, die nicht selten vor Ort sind, wenn die Rennen nicht im Fernsehen übertragen werden.”

Wie sieht es mit Verbindungen zwischen dem Motorsport und dem Serienautomobilbau aus? War das eher ein Geben oder ein Nehmen der einen Seite oder eher ein geschlossener Kreis?
MT: “Durch die Formel 1 hatten wir eine starke Verbindung, denn wir haben 1997, als wir uns für den Einstieg in die F1 entschieden haben, gleich bestimmt, die entsprechende Fabrik direkt in Sichtweite zu unserem Entwicklungszentrum zu bauen. Es ist eine eigenständige Einheit, aber wir sind eng miteinander verbunden und die Straßenfahrzeuge haben stark davon profitiert. Es war gelegentlich ein Fordern und Geben der einen und zu anderen Zeiten ein Fordern und Geben der anderen Seite.
Die Entscheidung, die Elektronik selbst zu entwickeln, wurde von unserem Vorstand für Forschung und Entwicklung getroffen und vor allem mit Blick auf einen Ausbau unserer Kompetenzen auf diesem Gebiet getroffen. Es zeigte sich, dass wir fast jährlich eine neue Generation der F1-Elektronik entwickeln mussten und viele Komponenten aus diesem Prozess wanderten in den Fahrzeugbau zurück.
Auf ähnliche Weise haben wir entschieden, eine Gießerei und eine Fabrik zur Herstellung von F1-Teilen zu bauen. Beide Fabriken wurden nicht vom Motorsport, sondern von den zuständigen Abteilungen des Fahrzeugbaus kontrolliert. Die F1-Gießerei befindet sich innerhalb der normalen BMW-Gießerei in Landshut, die andere Fabrik befindet sich direkt in der Nähe und beide werden von denselben Leuten kontrolliert, die über die normalen Werke entscheiden. Wir haben dort neue Gusstechniken entwickelt, Aluminium-Gussteile mit komplexen Formen und extrem dünnen Wänden. Diese Technologie kommt nun auch in High Performance-Straßenfahrzeugen zum Einsatz, sowohl bei BMW M also auch bei hochmodernen Dieselmotoren mit Direkteinspritzung.
Wir haben Beschichtungstechnologien und Oberflächenbehandlungen entwickelt, die nun in Serienautomobilen zum Einsatz kommen und mit der Entscheidung zum Ausstieg aus der Formel 1 ist die komplette Fabrik in die Hände des Fahrzeugbaus übergegangen, sie werden also weiterverwendet und kommen nun den Fahrzeugen für die Straße zu Gute.”

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Man kann also sagen, dass die heute in Serienautomobilen eingesetzte Technik schon die durch das F1-Engagement gewonnenen Erfahrungen nutzt, was künftig noch stärker vermarktet werden könnte, um den hohen Kapitaleinsatz rückwirkend zu rechtfertigen…
MT: “Vielleicht ein noch besseres Beispiel für die Zusammenarbeit, dieses mal in die andere Richtung, ist die Elektronikabteilung. Denn als wir vor zwei Jahren zu einer einheitlichen Standardelektronik gewechselt sind und dadurch die Notwendigkeit verloren ging, selbst eine Fahrzeugelektronik für die F1 zu entwickeln, wurde auch das Energierückgewinnungssystem KERS für die Saison 2009 als Pflicht eingeführt, weshalb die komplette Abteilung ab 2007 an der Entwicklung von KERS arbeitete. In diesem Zusammenhang haben wir Lösungen für elektrische Motor-Generatoren, Batteriesysteme und Leistungselektronik gefunden, die ein 4 bis 5 mal so gutes Leistungsgewicht bieten wie die aktuell in Straßenfahrzeugen eingesetzten Systeme. Als wir das F1-Engagement im letzten Jahr beendet haben, ging diese komplette Abteilung zum Serienautomobilbau über und entwickelt nun Hybrid-Antriebsstränge für künftige Straßenfahrzeuge.”

Also gab es einen signifikanten Technologietransfer zu Gunsten der Straßenfahrzeuge durch den Einsatz in der Formel 1 und ironischerweise nun in besonderem Umfang durch den Ausstieg aus der F1?
MT: “Ja, das stimmt. Die meisten Leute sagen, dass man kein einziges Teil eines Formel 1-Autos für Straßenfahrzeuge übernehmen kann, aber man kann durchaus Technologien übertragen.”

Wird es also künftig KERS in Straßenfahrzeugen geben?
MT: “Ja. Auf der Frankfurter IAA hatten wir im letzten Jahr den Prototyp eines zukünftigen Sportwagens gezeigt, den Vision EfficientDynamics. Das Batteriepaket in diesem Fahrzeug war exakt dasselbe wie das Lithium-Ionen-Batteriepaket in unserem Formel 1-Fahrzeug. Wir haben also die Erkenntnisse aus der Formel 1 in den Serienautomobilbau übernommen und zwischenzeitlich sind wir sogar schon etwas weiter. Diese Technologien werden wir in den kommenden Jahren Schritt für Schritt in unseren Straßenfahrzeugen sehen. Die Leistungselektronik kann in einem weiteren Projekt verwendet werden. Bei der Batterietechnik haben wir vermutlich zur Zeit eine Zwischenstufe dessen, was wir in Straßenfahrzeugen demnächst erreichen wollen. Es könnte also etwas länger dauern, aber wir werden Lithium-Ionen-Batteriepakete in der sehr nahen Zukunft sehen und wir wissen aus der Formel 1, wie man damit umgehen muss.”

Neben dem Batteriepaket zeigt das Vision EfficientDynamics Concept noch weitere Technologien, sind einige davon auch für den Serienautomobilbau interessant?
MT: “Ja. Das Leichtbaukonzept, das Carbon in einem ähnlichen Umfang wie in der Formel 1 nutzt und der Hybrid-Antriebsstrang. Diese beiden sind die beiden Hauptgebiete, auf denen aktuell ein Technologietransfer zu den Straßenfahrzeugen stattfindet.”

Wer noch mehr lesen möchte, kann das komplette Interview in englischer Sprache auf Skiddmark.com nachlesen.

(Text: Skiddmark.com via BMWblog.com / Bilder: BMW)

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