Entwicklung einer Ikone: Doppel-Interview zu BMW M3 F80 & M4 F82

BMW M3, BMW M4 | 14.02.2015 von 30

Wenn die M GmbH einen neuen BMW M3 entwickeln soll, stehen die Ingenieure vor einer riesigen Herausforderung – schließlich ist der BMW M3 nicht nur …

Wenn die M GmbH einen neuen BMW M3 entwickeln soll, stehen die Ingenieure vor einer riesigen Herausforderung – schließlich ist der BMW M3 nicht nur eine Ikone unter den Mittelklasse-Sportlern, sondern auch das Aushängeschild der BMW M GmbH. Sowohl mit Blick auf die Vorgänger als auch im Vergleich zum Wettbewerb muss ein BMW M3 stets besonders überzeugend ausfallen und eine extrem anspruchsvolle Zielgruppe überzeugen.

Einen detaillierten Einblick in die Schwierigkeiten und Besonderheiten der Entwicklung der fünften BMW M3-Generation mit der internen Bezeichnung F80 sowie des ersten BMW M4 Coupé liefert ein ausführliches Interview mit Produktmanager Christoph Smieskol und Projektleiter Michael Wimbeck, die gemeinsam einen Blick zurück werfen.

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Herr Smieskol, wie startete die Entwicklung des neuen BMW M3 und BMW M4?
Christoph Smieskol: Am Anfang stand die Frage: Was muss eine Ikone BMW M3 in der fünften Generation können, damit sie auch dieses Mal wieder Benchmark wird? Und: Wie stellen wir sicher, dass wir dieses Ziel erreichen?
Zunächst erarbeiteten wir einen „Steckbrief“ aus Kundensicht, in dem wir die Marktanforderungen definierten. Dies geschah auf Basis von Erfahrungen und Eigenschaften der Vorgängergeneration, von Kundenbefragungen sowie Markt- und Wettbewerbsprognosen.
Aus diesen Daten definierten wir die Produktanforderungen, die dem Anspruch einer Ikone und der M Philosophie gerecht werden.

Wie sollte der angesprochene Charakter des neuen BMW M3 und M4 aussehen?
Michael Wimbeck: Wir haben uns sehr früh darauf festgelegt, dass wir den „Leichtathleten im Maßanzug“ anstreben. Wir wollten also keinen Zehnkämpfer oder Ringer, sondern einen „Leicht-Athleten“. Der Begriff „Maßanzug“ steht in diesem Fall für gesellschaftliche Akzeptanz. Es sollte also die beste Lösung für ein High-Performance-Fahrzeug im Segment sein – auch unter sozialen und ökologischen Gesichtspunkten.

Ein BMW M3 und BMW M4 wird auf der ganzen Welt verkauft. Variieren die Vorstellungen der Kunden sehr?
Christoph Smieskol: Erfreulicherweise ist die Marke BMW M so stark, dass die Erwartungen der Kunden in den verschiedenen Märkten ziemlich konsistent sind. Es gibt ein recht klares Bild davon, für was M steht, sodass wir mit der Positionierung „der Leichtathlet im Maßanzug“ unsere Marktpartner bereits in einer sehr frühen Phase begeistern konnten und dann auch alle diesen Weg über die gesamte Entwicklungszeit mitgegangen sind.

Welche Bedeutung hat der Begriff „Leichtathlet“ konkret für den neuen BMW M3 und M4?
Christoph Smieskol: Die bisherigen Tugenden eines M3 sollten beibehalten und ausgebaut werden: leichtfüßiges Ansprechen, dynamisches und agiles Fahren. Der Begriff „Leichtathlet“ steht auch für Gewichtsreduzierung und Umdrehen der Gewichtsspirale.
Vorhersagbarkeit und Präzision sind ganz wichtige Themen, die schon den Vorgänger ausgezeichnet haben. Bereits der BMW M3 E9x war rasiermessergleich präzise zu fahren – die Frage war: Wie können wir das noch toppen?
Michael Wimbeck: Das war tatsächlich nicht einfach. Als ich das Projekt übernommen habe, gewann der BMW M3 E9x immer noch alle Vergleichstests gegen zum Teil jüngere Wettbewerber.
Dann haben wir einen Blick auf fast 30 Jahre BMW M3 Geschichte geworfen. Die Vor-Vorgängergeneration, der BMW M3 E46, war wilder und burschikoser. Er ist unser bislang meistverkaufter BMW M3, also kann dieses Auto in seinem Charakter nicht so ganz falsch gewesen sein.
Das war für mich persönlich so ein wenig die Marschrichtung: Lass uns die Perfektion des BMW M3 E9x mit der Wildheit des BMW M3 E46 paaren.
Christoph Smieskol: Wir wollten also auch den Charakter weiter nachschärfen, noch unmittelbarer werden im Fahrerleben und zugleich dem neuen BMW M3 und BMW M4 alle M Tugenden mitgeben.

Herr Smieskol, Sie hatten ja vorher auch das BMW 1er M Coupé betreut. Hat Sie dessen Erfolg in diesem Entschluss bestärkt?
Christoph Smieskol: Der 1er M war der bewusste Versuch, zurück zu unseren Wurzeln zu gehen, die vom ersten BMW M3 gelegt wurden. Das BMW 1er M Coupé gab es nur mit einem Motor, einem Fahrwerk, einem Getriebe – ein puristisches Fahrerlebnis. So wurde das Auto auf den Punkt gebracht. Der Kunde kann sich ganz bewusst mit der Materie Auto auseinandersetzen. Überspitzt gesagt: Mann gegen Maschine.
Beim BMW M3 haben wir einen etwas anderen Anspruch. Die Leistung ist höher und wir müssen dem Kunden eine größere Bandbreite an Charaktereigenschaften bieten. BMW M3 und M4 sind sehr schnell auf der Rennstrecke, aber man kann damit auch völlig entspannt Langstrecken fahren. Hier lautet unser Credo: „One with the machine.“ Alltagstauglichkeit war stets ein wesentliches Merkmal des BMW M3 und stellt auch für den neuen BMW M3 und M4 eine wichtige Aufgabe dar.

Von Ihnen, Herr Wimbeck, weiß ich, dass Sie regelmäßig den einen oder anderen Blog, das eine oder andere Forum verfolgen.
Michael Wimbeck: Ich beobachte das Onlinegeschehen interessiert schon über mehrere Jahre – da entsteht ein gutes Bild, was die Fans und Kunden bewegt. Welche Fragen tauchen da auf, welche Eigenschaften erwartet man von einem M Automobil? Es freut mich, mit welchem Enthusiasmus und welcher Expertise die Kunden und Blogschreiber da unterwegs sind.

Teilweise war in den vergangenen Jahren bei neu vorgestellten sportlichen Fahrzeugen insgesamt ein sehr hohes Maß an Perfektion zu erkennen. Viele haben das zwar anerkannt – wirkten dabei aber auch leicht gelangweilt.
Michael Wimbeck: Ich hatte dazu ein persönliches Erlebnis: Ich fuhr mit Florian Staiger (Link) von Garching zur M Motorenentwicklung nach München, um dort das Thema „Motorkennlinie“ durchzusprechen. Das Ganze fand im Januar statt, wir waren mit meinem BMW M3 E92 unterwegs. Ich hatte, wie immer, den M Button gedrückt und bin in den jeweils „schärfsten“ Einstellungen – wie zum Beispiel SPORT PLUS – auf vier Zentimeter Schneedecke von Garching in die Preußenstraße gefahren.
Nach einer Weile sagte ich zu Florian: „Ich kann mit dem Auto trotz geschlossener Schneedecke entspannt im Setting SPORT PLUS fahren. Das muss der BMW M3 doch eigentlich bei diesen Bedingungen gar nicht können. Dafür gibt es doch einen EFFICIENT und SPORT Modus. Lass uns die Spreizung der Modi, sei es Fahrpedal oder Federung/Dämpfung vergrößern, auch wenn das Auto dann zum Beispiel in SPORT PLUS bei hierfür ungeeigneten Bedingungen schon mal schwieriger zu fahren sein sollte. Dafür haben wir ja die drei Modi, dass der Kunde situationsbedingt auswählen kann.“
Christoph Smieskol: Wir wollten das Rad ein Stück zurückdrehen und dem Auto wieder etwas mehr Ecken und Kanten mitgeben, um die Performance stärker erlebbar zu machen. Das zeigt sich nicht nur darin, dass wir auch weiterhin einen Handschalter anbieten, weil die Kunden sich bewusst mit dem Auto auseinandersetzen wollen – mit und ohne automatische Zwischengasfunktion. Die Rückmeldung von Bremse, Lenkung und Fahrwerk sollte nochmals gesteigert werden, das Fahrzeug und seine Reaktionen noch unmittelbarer fühlbar werden. Ich kann es richtig „erfahren“.

Waren sofort alle begeistert?
Michael Wimbeck: In einem Unternehmen wie der BMW AG, deren Tochter die BMW M GmbH ja darstellt, ist es nicht einfach, so ein Fahrzeug in seiner Alleinstellung in Serie zu bekommen. Wir haben viel interne Überzeugungsarbeit dafür geleistet, dass so ein Fahrzeug einen eigenständigen Charakter haben darf, weil der Kunde diesen Charakter auch erwartet.
Es gab lange Diskussionen, in denen oftmals gesagt wurde: „Herr Wimbeck, wir müssen immer den kritischsten Kunden zufriedenstellen“, worauf ich geantwortet habe, dass dies aus meiner Sicht für ein M Automobil in dieser Absolutheit so nicht gilt. Denn wenn wir immer den kritischsten Kunden zufriedenstellen wollten, benachteiligten wir manchmal die 99 % der anderen Kunden.
Ein Beispiel: das Thema „Turbolader abblasen“ beim Öffnen der Wastegates (LINK). Es kommt da zu Pfeifgeräuschen. Wir sagten, das sei charakteristisch, es werde niemanden stören, dass man, wenn man vom Gas geht, hört, dass es sich um einen Turbomotor handelt. Beim M Automobil dürfe so ein Verhalten nicht nur sein, sondern es sei sogar gewünscht.
Christoph Smieskol: Das Thema „Sound“ ist ja ein sehr sensibles für M Automobile. Es gibt viele Funktionsgeräusche, die wir als Stück des Charakters des Autos sehen. Ob es sich um Ansauggeräusche, das Öffnen der Abgasklappen, Getriebegeräusche handelt – sie geben dem Fahrer immer eine Rückmeldung, was augenblicklich mit dem Auto passiert. Hier sollte nicht alles rundgeschliffen werden.
Das benötigt dann allerdings schon einige Überzeugungskraft. Wie Michael schon sagte: In der BMW AG herrscht hier zum Teil ein anderes Denken – einfach weil die Anforderungen der Kunden an die Fahrzeuge unterschiedlich sind. Ein BMW 320d Kunde möchte vielleicht völlig ungestört seine 30 bis 40 Tausend Kilometer im Jahr runterspulen. Unsere Kunden wollen täglich etwas erleben. Es geht um Fahrfaszination – da sind die Anforderungen an einigen Stellen doch deutlich verschieden zwischen einem Fahrzeug der BMW AG und einem M Hochleistungsautomobil.
Michael Wimbeck: Es war sehr wichtig, dass alle Kollegen an einem Strang zogen und uns auch in diesem Punkt – nach etwas Überzeugungsarbeit – unterstützt haben. So konnten wir die Charakterschraube noch mal etwas anziehen.
Das ist, glaube ich, auch ein Schlüssel des Erfolges: Es wurden recht früh die richtigen Weichen gestellt, dann sind alle den gewählten Weg mitgegangen.

Insgesamt sind mit der BMW M3 Limousine und dem BMW M4 Coupé Automobile entstanden, die sich fahrdynamisch auf Augenhöhe begegnen. Die BMW M3 Limousine hat beispielsweise nun auch ein CFK-Dach. Wie kam es dazu?
Christoph Smieskol: Wir haben zu Beginn des Projektes die Erwartungen unserer Kunden recht genau analysiert. Wer fährt eine BMW M3 Limousine, wer fährt das Coupé? Dabei kam – etwas überraschend – zutage, dass die Kunden von Limousine und Coupé fast identische Erwartungen und Ansprüche an das Auto haben. Es war keineswegs so, dass die Limousine die eher elegante, „zurückhaltendere“ Variante war. Beide Derivate werden beispielsweise ähnlich oft auch auf Rennstrecken bewegt. Die Entscheidung pro viertüriger Variante Limousine fällt der Kunde aufgrund der Familiensituation oder persönlicher Präferenzen. Das war für uns das Signal, die „zweieiigen Zwillinge“ auf den Weg zu bringen. So haben wir von Anfang an auch darauf geachtet, dass neben dem BMW M4 Coupé auch die BMW M3 Limousine und das BMW M4 Cabrio die jeweils möglichen Leichtbaukomponenten bekommen.

Herr Wimbeck, wie realisiert man ein M Automobil wie den BMW M3 und BMW M4?
Michael Wimbeck: Zunächst machen wir uns Gedanken, wie wir die Anforderungen an das Fahrzeug am besten erfüllen können.
Wir sind keine Dogmatiker, die an einer bestimmten Technologie festhalten, sondern wir haben ein klares Bild davon, wofür M steht. Die M Philosophie: Der Kunde soll das stimmigste Gesamtkonzept erhalten. Dies bestimmt die Wahl der eingesetzten Technik.
Für den neuen BMW M3 und M4 haben wir uns zum Beispiel entschlossen, von einem Achtzylinder-Sauger-Motor auf einen neu entwickelten M TwinPower Turbo Sechszylinder zu wechseln und eine neue elektromechanische Lenkung zu entwickeln.
Uns war klar, dass unsere Fans gerade diese zwei Neuentwicklungen besonders intensiv hinterfragen würden. Jetzt, wo die Autos auf der Straße sind, erhalten wir sehr gute Kritiken, gerade auch für diese beiden Punkte. So wird schlüssig, dass wir unserer Mission, das Benchmark-Fahrzeug im Wettbewerbsumfeld zu machen, treu bleiben.
Wir mussten im Entwicklungsprozess keine großen Sprünge machen, plötzlich auf neue Technologien setzen. Der „rote Faden“ hatte von Anfang an bis zum Ende Gültigkeit, nur so kann man eine hohe Entwicklungstiefe und die bei M Automobilen stets im Mittelpunkt stehende „Gesamtkonzeptharmonie“ erreichen. Nur dann sind die Komponenten perfekt aufeinander abgestimmt. Wenn ich nach der Hälfte der Entwicklungszeit merke, dass ich einen Schwenk machen muss, bekomme ich nicht diese Entwicklungstiefe.
Christoph Smieskol: Wichtig war, dass wir im Projekt immer ein klares Verständnis davon hatten, was wir wollten. Aus der M Philosophie heraus haben wir den Charakter von BMW M3 und BMW M4 definiert und hatten immer ein klares und konsistentestes Bild davon, wohin wir wollten. Das Thema „Gewichtsreduzierung“ war Messlatte. Und Herzstück jedes M Automobils ist der Motor. Wir mussten sicherstellen, dass diese beiden Themenfelder absolut stimmig bearbeitet wurden und am Ende die besagte Gesamtkonzeptharmonie erlebbar wird. Keine Fakultät hat einfach mal für sich gearbeitet, sondern das Ziel in Form eines Gesamtpackages war allen stets klar vor Augen.
Michael Wimbeck: Wir haben ja in den Fachbereichen richtige „Freaks“ sitzen. Und wenn man sich mit diesen Kollegen dann unterhielt, fragte, wie sie die Aufgabe anpacken würden, dann haben sie oftmals Antworten gegeben, die genau zu unserer Philosophie passten. Manchmal glaubten die Kollegen, sie dürften nicht machen, was sie selbst toll finden. Oft konnten wir sagen: „Nein, nein, das ist genau richtig. Bringt eure Ideen ein. Macht da ein richtig ‚geiles‘ Auto, so wie ihr es selbst auch fahren wolltet.“ Wenn sie das dann durften, sogar sollten, kam was besonders Tolles zustande.

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Es scheint bei der BMW M GmbH auf vergleichsweise engem Raum schon sehr viele Mitarbeiter zu geben, die mit Herz und Seele dabei sind.
Christoph Smieskol: Ja, das stimmt. Die kurzen Wege sind wichtig und aus einigen Projekten heraus kann ich wirklich sagen: Wir haben hier ein außergewöhnlich gutes Team. Ich habe hier viele „Aficionados“ erlebt, die mitziehen und auch mal unkonventionelle Wege gehen. Da wird nicht Dienst nach Vorschrift gemacht, ohne nach links und rechts zu gucken, sondern gemeinsam überlegt, wie man noch besser zum Ziel kommen kann. Dafür gibt es viele Beispiele: Bei der Lenkung gab es lange Diskussionen, wie sie ausgelegt sein muss, damit sie maximal präzise funktioniert und eine große Spreizung anbietet. Wie muss die Abgasanlage klingen, wie kommen wir zum richtigen Sound?
Die Reifen haben wir – unter anderem aufgrund von Hinweisen der DTM-Rennpiloten – in Zusammenarbeit mit dem Lieferanten immer wieder noch besser gemacht. Das erfordert dann schon einige Schleifen mit den Topleuten der Fachstellen, damit das Auto am Ende so dasteht, wie es heute ist.
Michael Wimbeck: Da sehe ich auch unsere Aufgabe als Projektteam: den Kollegen die Freiräume zu geben, die Arbeitsbedingungen so zu gestalten, dass sie – natürlich im Rahmen straffer Kostenziele – optimale Ergebnisse erreichen können. Wenn die Leute sich in die richtige Richtung ausleben, muss man ihnen den Freiraum schaffen. Es ist auch wichtig, sie immer wieder geeignet zu vernetzen: „Wollen wir uns in dieser oder jener Konstellation mal zusammensetzen und über das folgende Problem reden?“ Wobei das nicht so schwierig ist. Die Entwicklung hier in Garching ist in ihrer Größe überschaubar, viele Leute verbringen auch privat Zeit miteinander. Dabei unterhalten wir uns auch viel über unsere Entwicklungstätigkeit. Am Ende, glaube ich, kommt doch rüber, ob ein Auto wirklich mit Herzblut gemacht wurde und ob sich da jeder optimal einbringen durfte.
Die Herstellung eines klar definierten Konsenses über das zu erreichende Ziel ermöglicht also Spielräume in der Form der Realisierung.
Es ist wichtig, die Leute früh an einen Tisch zu bekommen. Denn dann eröffnen sich manchmal noch Möglichkeiten, an die zunächst keiner dachte.
Christoph Smieskol: Ein schönes Beispiel ist die Heckklappe des BMW M4 Coupé: Im Rahmen der Versuchsfahrten auf der Nürburgring-Nordschleife wurde im Projekt festgestellt, dass die aerodynamische Balance des Coupés nicht perfekt ist. Wir mussten also eine Optimierung am Kofferraumdeckel vornehmen.
Wir hätten hier einfach einen Spoiler draufkleben können. Aber die Größe hätte beim BMW M4 Coupé die einer kleinen Spoilerlippe, wie sie bei der BMW M3 Limousine prima funktioniert, deutlich übersteigen müssen. Dies wäre dem Gewicht nicht zuträglich gewesen und die Designer hätten Schnappatmung bekommen (lacht). Deshalb kam der Vorschlag der Fachabteilungen, den Spoiler in die Form der Heckklappe zu integrieren. Und wenn wir die Heckklappe schon neu machen, dann machen wie sie mit C-SMC-Material deutlich leichter als das Standard-Bauteil. Dem Designer kam dann die Idee, die Designline des Powerdoms über das Dach bis in die Heckklappe fortzuführen. So haben alle dazu beigetragen, dass am Ende die Aerodynamik, das Design und das Gewicht optimiert wurden.
Michael Wimbeck: Ähnlich haben wir bei vielen Baugruppen agiert. „Wenn wir diese Baugruppe jetzt sowieso ändern müssen, damit sie unseren Vorgaben gerecht wird – was können wir dabei on Top noch machen?“ war oftmals die Frage. „Die Kosten fallen durch die notwendige Änderung eh an – setzen wir uns alle an einen Tisch, um Möglichkeiten zu finden, aus der Änderung noch mehr Nutzen zu ziehen.“

Beispiel Gewichtsreduzierung: Die Autos werden immer größer und damit zunächst auch schwerer. Das Gewicht eines Autos zu reduzieren ist durchaus schwierig und teuer? Es wurde ja fast um jedes einzelne Gramm gerungen?
Michael Wimbeck: Das Thema „Leichtbau“ ist ein ziemlich kleinteiliges Geschäft. Jeder muss da seinen Einzelbeitrag leisten. Natürlich gibt es einige Highlight-Themen wie unsere CFK-Teile. Aber es ist heute nicht mehr so, dass man an so ein Auto rangehen und einfach mit fünf Teilen das Gewicht um jeweils 30 Kilo senken kann – auch mit viel Geld nicht. Die Komponenten des Basisautos sind seitens der BMW AG bereits so gut ausgelegt, dass man auf breiter Front angreifen muss, um letztendlich so eine Gewichtsersparnis zu erreichen, wie sie beim BMW M3 und BMW M4 gelungen ist und der Gesamtkonzeptharmonie zugutekommt.

Herr Wimbeck, Sie haben mir mal erzählt, dass diese Gesamtkonzeptharmonie erst ziemlich spät im Entwicklungsprozess sichtbar wird. Zunächst sind ja oft Komponenten mit unterschiedlichen Entwicklungsständen in den Versuchsträgern verbaut und das fällt dann auch auf?
Michael Wimbeck: Ja, das ist richtig. Jede Fachabteilung optimiert ja erst mal innerhalb ihres eigenen Arbeitsgebietes. Die Fachabteilung kann das Ergebnis mit geschultem Auge bereits selektiv beurteilen, aber erst wenn alles zusammenkommt, eröffnet sich das Bild auf das ganze Auto. Ein großes Lob an die Kollegen, die es schaffen, fokussiert ihren eigenen Bereich zu optimieren, ohne dass sie auf den Rest schon immer in optimaler Form zugreifen zu können.
Wir haben den Vorteil, dass wir fachbereichsübergreifend gleiche Testtermine in unserem Testcenter in Südfrankreich, beim Wintertest in Arjeplog in Schweden und am Nürburgring durchführen können, bei dem sich die Kollegen dann noch mal gezielt austauschen: also zum Beispiel das Team „Motor“ mit den Teams „Regelsysteme“, „Fahrwerk mit Reifen“ usw. Wir müssen nicht warten, bis der nächste Fachbereich das Auto in die Hand bekommt, sondern hier wird gemeinsam ein riesiger Entwicklungshub gemacht.
Ein Beispiel zum Thema Gesamtkonzeptharmonie: Wir hatten jeden Freitag ein Treffen im Werk Regensburg, in dem ja die neue BMW M3 Limousine und das BMW M4 Cabrio gebaut werden. Die Autobahn von München nach Regensburg ist zum Teil recht anspruchsvoll. Ich habe es mir nicht nehmen lassen, beinahe jeden Freitag mit einem anderen Versuchsträger nach Regensburg zu fahren und dann immer mal wieder zum Vergleich mit meinem eigenen BMW M3 E92. In den schnell gefahrenen Autobahnkurven fühlte ich mich lange Zeit in meinem BMW M3 E92 deutlich wohler.
Ich habe dann mit Markus Gratzl, unserem Leiter der Fahrwerksentwicklung gesprochen. Ich weiß noch, wie ich gesagt habe: „Markus, das geht so nicht. Ich fahre mit dem neuen Auto und habe die Schweißperlen auf der Stirn, und ich fahre mit meinem BMW M3 E92 und kann gefühlt trotz hoher Geschwindigkeit die Gänseblümchen am Straßenrand zählen.“
Markus hat dann gelacht und mir fürs nächste Mal ein Fahrzeug versprochen, bei dem nicht nur jeweils einzelne Komponenten auf einem hohen Entwicklungsstand sind, sondern alle. Am folgenden Freitag hatte ich dann das breite Grinsen im Gesicht, weil ich dachte: „Jetzt sitze ich im richtigen Auto, jetzt fahre ich ganz entspannt und präzise.“ Das bemerkt dann nicht nur ein Profi oder gar Rennpilot – das merke bereits ich, wenn ich zu einem Meeting von München nach Regensburg fahre.

Die Zusammenarbeit mit den Werken München und Regensburg, in denen das BMW M4 Coupé bzw. die BMW M3 Limousine und das BMW M4 Cabrio gebaut werden, spielte eine wichtige Rolle?
Michael Wimbeck: Die beiden Produktionswerke in München und Regensburg haben uns extrem unterstützt. Wir quälen die Kollegen ja immer wieder mit unseren Anforderungen, die wir an die Produktion herantragen – wie beispielsweise mit den Steifigkeitsmaßnahmen, die in der Rohkarosse umgesetzt wurden.
Unsere Argumentation war jeweils: „Das ist ein BMW M3, ein BMW M4 – wir brauchen diese Bauteile ins Fahrzeug. Egal, wie ihr das in einem Großserienfertigungsprozess hinbekommt, sie sind zwingend notwendig für den Charakter dieses Fahrzeuges.“ Die Kollegen haben sich meist schnell überzeugen lassen und uns letztendlich keinen Wunsch ausgeschlagen.
Ich habe es mir nicht nehmen lassen, beim Bau des jeweiligen ersten Fahrzeuges in München und Regensburg am Fertigungsband mitzugehen. Da sieht man dann erst mal, was man „verbrochen“ hat und welche Anstrengungen und Flexibilität notwendig werden. Ein ganz, ganz großes Lob an beide Werksmannschaften, die für uns die berühmte „Extrameile“ gegangen sind.
Christoph Smieskol: Im Werk Regensburg wurde ja bereits seit vielen Jahren der BMW M3 gefertigt – hier war man bereits mit unseren Anforderungen vertraut.
Das Werk München baut nun nach 23 Jahren wieder ein M Automobil. Der Werksleiter und der Werksprojektleiter waren nicht nur zu 100 Prozent dabei, sondern gefühlte 180 Prozent. Man merkte auch in der Belegschaft, welche Begeisterung und Motivation so ein Auto erzeugt. Es gab Mitarbeiter, die knieten fast vor den vor den ersten gebauten Autos, die BMW M4 Coupés waren von Menschenaufläufen umringt.

Herr Bohrer, der Leiter des Werkes München, hat erzählt, dass sie ab und an dazulernen mussten. Wenn sie sich über manche Dinge überrascht zeigten, habe es oft geheißen: Das gehört schon so.
Michael Wimbeck: Nach dem Bau der Vorserie, als ein paar Fahrzeuge mehr im Werk verfügbar waren, habe ich jedem gesagt, der mit unserem Fahrzeug zu tun hatte: „Bitte nehmt Euch so ein Auto mit nach Hause, fahrt damit, und wenn ihr maximal irritiert seid und nicht mehr wisst, ob das alles so passt oder nicht – dann ist alles in Ordnung. Dann müsst ihr einfach weiterfahren, und irgendwann kommt der Moment, da werdet ihr genau danach süchtig. Dann haben wir’s geschafft.“

Eine Frage, die man immer wieder mal hört: Wie kam es zu den Farben Austin Yellow für BMW M4 Coupé und Yasmarina Blue für die BMW M3 Limousine?
Christoph Smieskol: Wir haben eine gewisse Farbtradition. Es gibt von BMW M historisch besetzte Farben – sowohl was das Blau wie die Gelbtöne angeht. Hier waren wir seit mehreren Generationen entsprechend unterwegs. Die Frage war: Wie können wir das aufgreifen und weiterentwickeln?
Wir wollen ja nicht immer wieder die alten Farben lackieren, sondern sie ein Stück weiter in die Zukunft fortschreiben. Gelb ist eine charakterstarke Farbe, die sehr gut optisch mit den Carbonteilen und zum Beispiel den dunklen Felgen harmoniert. Hier greifen wir die Tradition von BMW M3 E46 und von BMW M3 E36 auf.
Das Thema „Blau“ wurde ebenfalls durch die Generationen getragen. Blau ist auch eine der drei Farben, die in den drei Streifen des Guigaro M auftaucht. Auf dieser Basis haben wir dann mit den Designern an der optimalen Richtung gearbeitet.
Michael Wimbeck: Wir haben es ja sogar geschafft, dass bereits das zweite jemals von Band gelaufene BMW M4 Coupé in Austin Yellow lackiert wurde. Man kann sich den Aufruhr im Werk vorstellen, als dieses Auto auf dem Band durch die Produktion lief.

Wenn Sie selbst bestellen oder bestellen würden – BMW M3 Limousine oder BMW M4 Coupé? Wie sollten sie aussehen?
Christoph Smieskol: Das ist eine echt schwierige Frage. Anfangs war ich ein großer Verfechter des BMW M4 Coupé. Je häufiger ich jetzt die BMW M3 Limousine sehe, desto mehr gefällt mir ihr ganz spezieller Charakter. Die Viertürigkeit in Verbindung mit den ausgestellten Radhäusern wirkt ziemlich frech.
Michael Wimbeck: Ich habe mir den BMW M4 fast in Launch-Spezifikation ausgesucht, also so, wie das Auto auch der Öffentlichkeit vorgestellt wurde: in Austin Yellow, mit schwarzen Felgen, mit schwarzer Volllederausstattung. Ich habe ja drei Jahre darauf hingearbeitet, dass wir genau so ein Fahrzeug bekommen – dann habe ich’s natürlich auch so bestellt.
Christoph Smieskol: Und wer sich in den neuen Farben nicht zu 100 Prozent wiederfindet: Neulich stand hier eine BMW M3 Limousine in Mineralgrau, mit schwarzen Felgen und innen „BMW Individual Amarobraun“ – das war zum Beispiel auch eine faszinierende Kombination.

Herr Smieskol, Herr Wimbeck, vielen Dank für das Interview.

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(Interview: M-Power.com)

 

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