Formel E 2017: Auf leisen Sohlen Richtung Zukunft

Motorsport, News | 6.06.2017 von 0

Mit spannenden Strecken und futuristischem Charme etabliert sich die Formel E als Familien-Event. Wir haben das letzte Rennen der Serie in Paris mitverfolgt

Am 10. Juni gastiert der leise Rennzirkus der Formel E in Deutschland. Wir haben uns die innovative Rennserie auf Einladung von Michelin zum letzten Lauf in Paris angesehen – und erklären, warum man sich den Berlin ePrix 2017 nicht entgehen lassen sollte.

Ein schläfriger Freitag in Paris. Die Spätnachmittagssonne taucht die Fassaden der Altbauten in goldenes Licht und in den Straßencafés des siebten Arrondissements steigen die ersten Feierabendfreudigen von Milchkaffee auf Weißweinschorle um. Alles scheint wie immer in der Stadt der Liebe – zumindest fast. Denn hinter temporären Schutzzäunen werden sich an diesem Wochenende nur wenige Meter entfernt 20 Rennfahrer aus 10 Teams in ihren filigranen Elektrorennwagen auf die Jagd nach Bestzeiten begeben. Mitten in der Pariser Innenstadt. Und als kurze Zeit später ein erster Formel E Wagen mit der unvergleichlichen Klangkulisse eines Star Wars Pod-Racers den Boulevard des Invalides herunterfegt, wird endgültig klar, dass uns hier ein wirklich besonderes Rennerlebnis erwartet.

Rund um den berühmten Invalidendom haben die Organisatoren der Fia Formel E einen 1,92 Kilometer langen Rundkurs errichtet, der mit seinen vierzehn Kurven, engsten Streckenbegrenzungen und welligstem Pariser Straßenasphalt kaum Platz für Fahrfehler lässt. Alten Motorsport-Petrolheads, die am Streckenrand vergebens dem Geruch von verbranntem Benzin hinterherschnuppern, begegnet die Elektro-Rennserie mit spannenden Tracks und futuristischem Charme. Statt die Zuschauer mühsam an die großen Rennstrecken zu locken, kommt die Formel E eben einfach in die Stadt – und etabliert sich erfolgreich als zeitgemäße Alternative für die Wochenendgestaltung. Binnen 24 Stunden waren die 7.000 Tribünenplätze für den Paris ePrix ausverkauft.

Die Technik – Einheits-Chassis und Fanboost

Im Rennen fahren alle Teams unter gleichen Rahmenbedingungen, mit einem Einheits-Chassis von Spark-Renault, speziellen Allwetter-Rennreifen von Michelin und identischen Lithium-Ionen Batterien mit 28 kWh Fassungsvermögen. Von Null auf Hundert beschleunigen die 880 Kilo schweren Autos in unter drei Sekunden, die Leistung im Rennen beträgt 231 PS. Wer je in einem Elektroauto auf der Autobahn unterwegs war, der weiß um die allzu schnell schwindende Reichweite bei durchgetretenem Fahrpedal. Ähnlich verhält es sich auch im Formel E Rennbetrieb, und so wechseln die Fahrer während des Laufes einmal ihr Fahrzeug.

Eine weitere Besonderheit: der Zuschauer hat die Möglichkeit, das Rennen mit dem sogenannten „Fanboost“ aktiv zu beeinflussen. Drei Fahrer, die bei einer Abstimmung in sozialen Medien die meisten Stimmen erhalten, können in der zweiten Rennhälfte per Knopfdruck einen kurzfristigen Leistungsschub von zusätzlichen 100 Kilojoule aktivieren. So steht für maximal fünf Sekunden die Höchstleistung der E-Motoren von 272 PS zur Verfügung.

Die Formel E versteht sich selbst als Botschafter für nachhaltige Elektromobilität. Im Zuschauerbereich präsentieren verschiedenste E-Auto-Hersteller ihre Produkte; während des Rennens kommen ein modifiziertes BMW i8 Safety Car sowie ein BMW i3 als Medical Car zum Einsatz. Am Rennmorgen stehen beide an ihren induktiven Ladepunkten am Fahrerlager. Die Atmosphäre ist entspannt und ungezwungen, Seite an Seite schrauben die Teams in ihren offenen Zelt-Boxen und bereiten ihre Autos für das Qualifying vor. Wir besuchen das Reifenlager am Ende der Boxengasse und treffen dort Serge Grisin, der bei Michelin für die Formel E zuständig ist. Kurz vor dem Rennen ist für ihn die meiste Arbeit schon getan und er hat Zeit, uns das Reifenkonzept der Formel E näher zu erläutern.

Die Reifen – Nachhaltig bei jedem Wetter

Während des gesamten Laufes steht den Teams nach Reglement pro Fahrzeug lediglich ein Satz Reifen und ein „Ersatzrad“ zur Verfügung. Die übliche Unterteilung in Regen- und Slickbereifung fällt weg – der speziell entwickelte und in dieser Saison erstmals eingesetzte Michelin Pilot Sport EV2 muss also bei jeder Witterung funktionieren, schnell auf Temperatur kommen und gleichsam natürlich möglichst wenig Laufwiderstand bieten. Eine Herausforderung, die die Entwickler offenbar erfolgreich gemeistert haben: „Das Feedback unserer Partner zum Michelin Pilot Sport EV2 ist seit Saisonstart positiv ausgefallen“, erklärt Grisin.

Optisch lässt sich der 18-Zoll-Niederquerschnittsreifen kaum von gewöhnlichen Sportreifen für den Straßeneinsatz unterscheiden. Dafür profitieren Umwelt und Organisatoren allein schon von der einfacheren Logistik: gerade einmal 160 Reifen hat Michelin für das Rennen in Paris im Gepäck. In anderen Rennserien sind es häufig mehrere tausend Pneus, die aufwändig von A nach B gebracht, aufgezogen und angewärmt werden müssen. Entsprechend entspannt ist die Stimmung an diesem Morgen im Reifenlager – hier ist man schlicht einanderes Pensum gewohnt.

Das Rennen – Die Stunde der Nebengeräusche

Vor dem Rennstart am Nachmittag werfen wir nochmal einen verstohlenen Blick auf die Wetter-App. Eigentlich sollte es ja regnen, doch wie schon bei fast allen anderen Läufen der letzten zwei Formel E Saisons macht die Sonne keine Anstalten, der grau-nassen Vorhersage tatsächlich zu entsprechen. Kurz nach 16 Uhr beginnt schließlich der lautlose Kampf um die Plätze auf dem Podium. Wir sitzen an einer 90-Grad-Kurve am Ende einer langgezogenen Geraden. Nur das aufgeweckte Sirren der Elektromotoren kündigt das dicht an dicht fahrende Feld an. Dann geht alles ganz schnell.

Krächzende Bremsen, das Abrollgeräusch der Reifen, dann und wann ein Verbremser am Ende des Vollgas-Abschnitts, unmittelbar darauf folgende Ruhe. Zur Formel E schlägt die Stunde der Nebengeräusche. Was sonst vom gellenden Schreien potenter Verbrennungsmotoren überspielt wird, kommt beim Paris ePrix 2017 voll zur Geltung. Motorsport ohne Oropax – elegant, modern und familientauglich.

Als wir uns nach ein paar Runden an die besondere Kulisse gewöhnt haben, offenbart der Blick auf einen der großen Monitore am Streckenrand ein ganz anderes Spannungspotenzial. Im Wechsel mit den Rundenzeiten wird zu jedem Auto der aktuelle Ladestand der Batterien eingeblendet. Den Boxenstopp mit Fahrzeugwechsel können die Teams frei bestimmen. Entsprechend unterschiedlich kalkulieren die Fahrer und reizen den jedem Smartphone-Nutzer zu gut bekannten, tiefroten Bereich bis auf die letzten Prozentpunkte aus.

Über viele Runden bleibt das Hauptfeld im Rennen dicht beieinander. Immer wieder fahren einzelne Autos die enge Biegung in unserem Blickfeld im weiten Bogen, weil die Ideallinie schon von einem Kontrahenten besetzt ist. Viel Platz zum Ausweichen bleibt nicht, Überholmanöver sind auf dem verwinkelten Kurs nur an wenigen Stellen möglich. In jeder Kurve kämpft dafür die Aerodynamik erbittert gegen den brüchigen Asphalt und die steilen Kerbs. Den Ritt im Grenzbereich quittieren die Rennwagen mit teils heftigem Versatz. E-Racing ist Rennsport am Limit – nur eben etwas leiser.

Am 10. Juni macht die Formel E ihren einzigen Halt in Deutschland. Die außergewöhnliche Klangkulisse der Sportwagen, der ungewöhnliche und spannende Rennverlauf und nicht zuletzt auch das spektakuläre Rahmenprogramm qualifizieren den ePrix definitiv zum lohnenden Ausflugsziel. In Paris passieren die 20 Rennwagen heute 49 Mal unseren Tribünenplatz, bis schließlich Sébastien Buemi in einer Safetycar-Phase als erster die Ziellinie auf dem „Circuit des Invalides“ passiert. Wenige Straßen weiter zeugt höchstens noch das Klatschen der Zuschauer vom Pariser Rennzirkus. Dann ist wieder alles wie immer, in der Stadt der Liebe.

Text: Jonas Eling
Fotos: © Michelin, Jonas Eling (2)

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