Fahrbericht BMW S 1000 XR: Die rote VerSUVung

BMW Motorrad, Fahrberichte | 2.06.2015 von 4

Sport Utility Vehicle. Die meisten Deutschen tun sich schwer mit der Aussprache dieser drei Worte, darum reden sie landläufig lieber in der abgekürztern Form vom …

Sport Utility Vehicle. Die meisten Deutschen tun sich schwer mit der Aussprache dieser drei Worte, darum reden sie landläufig lieber in der abgekürztern Form vom „Suff“. Doch das SUV als solches ist nicht das Ergebnis exzessiven Alkoholkonsums, sondern das Akronym einer weltweit erfolgreichen Fahrzeuggattung, die uns seit Mitte der 90er überrollt. Auch BMW partizipiert prächtig an dem Erfolg der für den Alltag domestizierten Geländewagen. X1, X3, X5 und ihre coupéartigen Ableger X4 und X6 sind mittlerweile wichtige Säulen für den vierrädrigen Absatz der Bayern.

Es scheint, aus diesem Grund müsse jetzt der Buchstabe „X“ gleichermaßen in den zweirädrigen Bereich schwappen, denn auch hier spricht man neuerdings gerne von SUVs. BMW S 1000 XR heißt das Erstlingswerk der Bayern zu diesem Thema und es besitzt mehr Parallelen zur vierrädrigen Welt, als auf den ersten Blick ersichtlich.

BMW S 1000 XR

Eingangsfrage: wie entseht eigentlich ein sportliches SUV?

Wie macht BMW aus einem X5 eigentlich einen SUV Dynamiker? Salopp gesagt: sie schicken ihn nach Garching zur M GmbH, damit dort die Leistung angehoben und das Fahrwerk tiefer gelegt wird. Das Ergebnis heißt dann X5 M. Und wie baut die Motorrad Abteilung einen sportlichen SUV? Genau anders herum: sie nehmen das schärfste Pferd im Stall (die S 1000 RR), legen es höher und drosseln die Leistung. Trotz dieses äußerst gegensätzlichen Ansatzes ähnelt sich das Ergebnis verblüffend und die Käufergruppe frohlockt hier wie da: „endlich sitze ich angenehm hoch und aufrecht, habe trotzdem sportliche Fahreigenschaften, super Fahrleistungen und kann auch mal jemanden mitnehmen oder Gepäck transportieren.“ Nur bei der Sinnhaftigkeit dieser Ansätze gibt es einen klaren Sieger: das Motorrad. Denn während man sich beim X5 M noch fragt, warum ein Zwei-Tonnen-Allrad-Schiff mit aller Gewalt auf Sportwagen getrimmt werden muss, glänzt die S 1000 XR mit einer überraschenden Alltagstauglichkeit, ohne sportlich große Abstriche machen zu müssen.

Mit Zahlen belegt bedeutet das: ein vierzylindriges Kraftwerk mit 999 cm³ produziert 160 PS und 112 Nm. Mit dem nötigen Schneid und dem richtigen Gefühl für die Kupplung kann man die 228 kg schwere XR in 3,1 Sekunden auf 100 km/h zoomen. BMW ergänzt politisch korrekt, dass die Höchstgeschwindigkeit bei „über 200 km/h“ liegt. Eine charmante Untertreibung, denn trotz des kleinen, jedoch effektiv aufragendem Windschildes sollte man sich bei entsprechender Körperhaltung an die 250 km/h herantasten können. Damit liegt die Stelzen-S 1000 von den Fahrwerten nicht weit hinter der rund 20 kg leichteren Schwester mit dem Dopperl-R im Namen. Doch wer XR fährt will bestimmt keine Windschatten Duelle mit den Gebückten austragen, sondern lieber auf kurvigem Geläuf mal schauen, was die aufrecht reitenden R 1200 GS Ritter so treiben. Und genau an dieser Stelle muss eben auch diese Frage gestellt werden: warum haben die Bayern dieses Eisen eigentlich nicht „S 1000 GS“ getauft, schließlich ist ihm ja ein entsprechender Schnabel gewachsen? „Weil die XR mehr ist“ lautet die Antwort oder im Marketing Sprech: „Adventure Sport“. Wir meinen „Eierlegende-Woll-Milch-Sau“ würde auch nicht schlecht passen. Sicher, 17“ Alugussräder mit einem 190er Gummi am Hinterrad sind nicht wirklich für einen Ausritt auf unbefestigte Wege geeignet, doch mal ehrlich: wieviele GS haben in ihrem Leben jemals losen Untergrund unter ihren Rädern gespürt, außer auf dem letzten Schotterparkplatz?

Zwischenfrage: taugt hoch und aufrecht eigentlich zur Kurvenhatz?

Griffiger Asphalt ist also das bevorzugte Element des Vierzylinder SUVs und dort macht er auch keine Gefangenen. Denn selbst bei niedrigen und mittleren Drehzahlen hält das Triebwerk genügend Drehmoment parat, nur um ab 6.500 U/min kraftvoll zuzubeissen. Das Geräusch, was dann auf direktem Weg durch den Helm ins Hirn dringt, wenn die Drosseln voll aufgerissen werden und die Luft gierig in den Sammler gesaugt wird, ist einfach großartig und beweist dem mittlerweile komplett Turbo-verseuchten Käfigbürger, wie herrlich freisaugende Motoren doch sind. Nur die feinen Vibrationen, die der Motor in den Lenker sendet, mögen den einen oder anderen stören. Doch nicht nur der Antrieb lädt zum Angasen ein, auch die Ergonomie der XR. Auf 840 mm Sitzhöhe wird man freundlich dazu eingeladen, zwischen aufrechtem Touren oder dynamischen Angriffsmodus zu wählen, denn wer den Steiß an die gestufte Sitzbank drückt, die Ellenbogen ein wenig am breiten Lenker ausstellt und sich nach vorne beugt, kann sie wieder spüren, die supersportliche Genetik der hochgebockten Tausender. Tief in die Kurve reinbremsen (ABS ist serienmäßig, ein Kurven-ABS optional), früh wieder am imaginären Ride-by-wire Kabel ziehen und dann einfach alles Vollstrecken, was vor einem fährt. Unterstützt wird der elegant vorgetragene Angriff auf die zweirädrigen Mitstreiter vom optionalen (und von uns dringend empfohlenen) Schaltassistent Pro und der serienmäßigen Traktionskontrolle ASC, denn dann wheelt nix, rutscht am Hinterrad nix und schalten ohne zu kuppeln ist sowieso was Feines. Wer es dann noch feiner haben will, der kann sich für 385 Euro die Sonderasustattung „Fahrmodi Pro“ mit dynamischer Traktionskontrolle (DTC) gönnen, sollte dann aber auch mit gezielt rutschenden Hinterrädern und aufsteigenden Vorderrädern umgehen können.

BMW S 1000 XR

Überhaupt spielt BMW die Klaviatur der Sonderausstattungen und des perfekt abgestimmten Zubehörs für die S 1000 XR wieder perfekt. Mit Koffern, Topcase, Tankrucksack und Navigationsgerät kann man sein zweirädriges SUV komplett zum Tourer aufrüsten oder mit feinsten HP-Parts zum Überraschungsgast bei Trackdays lancieren. Das Verblüffende dabei: egal ob in der vollledernen Bücklingsmontur, der luftigen Textilkombi mit Endurohelm oder im Hipster Outfit mit Jeans, Lederjäckchen und Halbschale, auf der S 1000 XR wirkt nichts albern. Und genau das macht die bayrische Fusion aus GS-Tradition und Supersportler-Neuland so besonders, denn der Spagat aus langen Federwegen (150 mm vorne, 140 mm hinten) und Sportmotor wirkt verdammt stimmig und befriedigt ungemein beim Fahren: vorhin noch hochkonzentriert in den Bergen von Kurve zu Kurve abgewinkelt, jetzt auf der Haupteinfallsstraße den Tempomat (für 325 Euro) mit dem linken Daumen auf 80 km/h geschnippt, das manuell einstellbare Windschild in die hohe Position gezogen und ganz entspannt, sowie ohne schmerzende Handgelenke nach Hause in die Stadt gerollt.

Abschlußfrage: warum wollen wir alle ein Performance-SUV?

BMW behauptet also nicht zu Unrecht, mit diesem Mopped Touringqualitäten, Sportlichkeit, Komfort und Alltagstauglichkeit auf neue Art und Weise zu vereinen. Das Interessante dabei: für dieses Konzept wären die Bayern vor 10 Jahren noch genauso belächelt worden, wie mit dem Ansatz, einen über 500 PS starken V8 Biturbo in einen X5 zu schnallen. Doch heute wecken genau diese Fahrzeuge eine hohe Begehrlichkeit, auch wenn hier wie dort das sportliche SUVen nicht günstig ist. Bei 15.200 Euro startet die BMW S 1000 XR und mit den verführerischen Sonderaussattungen und Zubehörteilen (wir empfehlen: beim freundlichen BMW Händler nie nach HP-Parts fragen, denn Carbon und Akrapovic sind und bleiben einfach schamlos teuer) kann man auch die 20k Grenze knacken. Trotzdem muss man kein Prophet sein, um zu wissen: der erste zweirädrige SUV von BMW wird, wie sein vierrädriger Bruder im Geiste, ein Erfolg, denn er ist schlicht die nächste Stufe des Sport Tourings.

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